Definition einer Hernie

Eine Hernie ist ein Vorfall von Eingeweiden, der von einem peritonealen Überzug ausgekleidet ist. Dies unterscheidet eine Hernie definitionsgemäß von einem Prolaps, bei dem innere Organe ohne peritonealen Überzug vorfallen, z.B. das Rektum. Man kann äußere Hernien wie z.B. die Leisten- oder Schenkelhernie von inneren Hernien unterscheiden. Diese können z.B. durch präformierte Muskellücken im Zwerchfell oder hinter nach Operationen neu entstandenen Zügen des Mesenteriums hernieren.

Als Ursache kommen angeborene und erworbene Bindegewebsdefekte sowie Narben infrage.

Leistenhernien

Bei den Leistenhernien lassen sich die angeborenen von den erworbenen Hernien unterscheiden. Die anatomische Landmarke, die diese beiden Formen der Hernien gegeneinander abgrenzt, sind die epigastrischen Gefäße. Bruchpforten, die medial davon verlaufen, verursachen direkte Leistenhernien, die immer erworben sind. Lateral der Gefäße laufen die indirekten Leistenhernien durch den Leistenkanal. Sie gehen auf eine unvollständige Verklebung des processus vaginalis zurück, sind also immer angeboren.Der Leistenkanal wird von mehreren anatomischen Strukturen gebildet, deren genaue Kenntnis das Verständnis und die operative Versorgung einer Leistenhernie überhaupt erst ermöglicht. Der Boden des Leistenkanals wird dabei vom Ligamentum inguinale gebildet, die Vorderwand von der Aponeurose des Musculus obliquus externus. Das Dach vom Unterrand des M. obliquus internus und vom M. transversus abdominis. Die Hinterwand des Leistenkanals bildet die Fascia transversalis.

Der Inhalt des Leistenkanals besteht beim Mann aus Ductus deferens, A. testicularis, A. ductus deferentis, Plexus pampiniformis, M. cremaster, Ramus genitalis des N. genitofemoralis und sympathischen Nervenfasern. Bei Frauen verläuft das Ligamentum rotundum oder Lig. teres uteri durch den Leistenkanal.

In einer aktuellen Publikation von Hutan Ashrafian vom Imperial College in London wird die Möglichkeit diskutiert, ob der vitruvianische Mann von Leonardo da vinci auf der linken Seite eine Leistenhernie zeigt.

da_vinci Urheber: Leonardo da Vinci (1452-1519) Foto: Luc Viatour / www.Lucnix.be

Symptomatik

Leistenhernien können Schmerzen in der Leiste verursachen oder ein Druck- und Schweregefühl. Das Ausmaß der Beschwerden lässt keine Rückschlüsse auf die Größe einer Hernie zu. Klinisch muss man zwischen einer reponiblen, irreponiblen oder inkarzerierten Leistenhernie unterscheiden. Im letzteren Fall werden die Gefäße des im Bruchsack gefangenen Darms komprimiert, es droht eine Ischämie und Nekrose. Daher besteht in einem solchen Fall immer eine notfallmäßige Operationsindikation.

Diagnostik & Klinik

Die Diagnose eines Leistenbruchs wird prinzipiell klinisch gestellt, d.h. ohne apparative Untersuchungsverfahren. Die Sonografie dient lediglich der Bestätigung oder dem Ausschluss von Differentialdiagnosen wie z.B. einer Hodentorsion.

Beim männlichen Patienten werden die Bruchpforten beider Seiten am stehenden Patienten untersucht. Mit dem Zeigefinger wird vom Skrotum in Richtung des inneren Leistenrings getastet. Dieser sollte mit der Kuppe des Zeigefingers gerade passierbar sein. Lässt man den Patienten nun husten oder pressen, kann man bei Vorliegen einer Leistenhernie eine Vorwölbung tasten. Große Brüche lassen sich selbstverständlich schon mit dem bloßen Auge ohne Tasten erkennen. In einem solchen Fall kann am liegenden Patienten ein Repositionsversuch erfolgen.

Insbesondere bei länger eingeklemmten Brüchen sollte dabei aber berücksichtigt werden, dass eingeklemmte Darmanteile bereits ischämisch geschädigt sein könnten und in der Folge zu einer Perforation führen könnten. Daher sollte bei erfolgter Reposition nach längerer Einklemmzeit immer die stationäre Aufnahme erfolgen. Gefürchtet ist auch eine sog. en-bloc-Reposition. Dabei gelingt scheinbar die vollständige Reposition des Bruchinhalts, tatsächlich wird jedoch der Bruch samt Hals reponiert, das einschnürende Hindernis bleibt bestehen.

Operation

Es stehen verschiedene Verfahren zur operativen Behandlung eines Leistenbruchs zur Verfügung. Neben offenen Operationen kommen heute zunehmend auch minimal-invasive Techniken zum Einsatz. Es kann weiter zwischen Naht- und Netz-Verfahren unterschieden werden. Bei den Nahtverfahren wird die anatomische Schwachstelle, die zu der Hernie geführt hat, durch eine Fasziendopplung verstärkt.

Bei den Netzverfahren kommen teilresorbierbare Kunststoffnetze zum Einsatz, die Stabilität durch Vernarbung erzeugen. Bei den endoskopischen Verfahren kommen Netze zum Einsatz aber auch bei offenen Verfahren werden diese verwendet.

Welches OP-Verfahren das optimale ist, hängt letztlich von mehreren Faktoren ab, unter anderem vom Alter der Patienten und möglicherweise vorhandenen Risikofaktoren, aber auch von der Frage, ob es sich bei der Hernie um eine Erstmanifestation oder um ein Rezidiv handelt.

Shouldice

Bei diesem offenen Nahtverfahren wird die Hinterwand des Leistenkanals, die Fascia transversalis gespalten und gedoppelt wieder aufeinander genäht. Der Musculus obliquus internus wird zusammen mit dem M. transversum ans Leistenband genäht. Dieser zweite Schritt geschieht in Analogie zur OP nach Bassini, die zugunsten der Shouldice-Operation weitgehend verlassen wurde.

Shouldice-Operation
Shouldice-Operation

Lichtenstein-Operation

Bei dieser Operation wird nach Spaltung der Externus-Aponeurose ein Kunststoffnetz spannungsfrei am Leistenband und auf der Fascia transversalis verankert. Dieses Netz dient als Stabilisierung der Bauchwand und wird als Matrix für die spätere Vernarbung genutzt.

Lichtenstein-Operation
Lichtenstein-Operation

TAPP – transabdominelle- präperitoneale Plastik

Ein Kunststoffnetz kann auch von intraperitoneal in den Leistenkanal eingebracht werden. Dabei wird über einen transabdominellen minimal-invasiven Zugang das Peritoneum zunächst gefenstert, das Netz hinter der Fascia transversalis platziert und das Peritoneum wieder verschlossen. Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass ohne zusätzlichen Schnitt die Gegenseite mit beurteilt und nötigenfalls operativ versorgt werden kann. Auch im Falle eines Rezidivs nach offener Leistenherniotomie bietet sich dieser Zugang an.

TEP – Total extraperitoneale Plastik

Um keine intraabdominellen Verwachsungen oder Verletzungen zu erzeugen, kann die Operation auch in einem neu geschaffenen Raum zwischen der Bauchwand und dem Peritoneum erfolgen. Die anatomische Übersicht in diesem durch Dissektion mit einem Ballontrokar künstlich geformten Raum ist nicht ganz einfach, allerdings ist die Gefahr geringer, dass das Netz verrutschen könnte. Die Gegenseite lässt sich ebenfalls inspizieren und ggf. versorgen.

TEPP-Operation

OP-Video: Lichtenstein-OP, offene Herniotomie mit Netzeinlage

1 Zugang

Der Hautschnitt erfolgt bei der Lichtenstein-OP über den Leistenkanal.

  • Es folgt die Präparation durch das subkutane Fettgewebe
  • Subkutane Venen werden ligiert und durchtrennt
  • Die Externusaponeurose kommt zur Darstellung
  • Von ihr wird der externe Leistenring gebildet

2 Eröffnung des Leistenkanals

  • Der Leistenkanal wir eröffnet
  • In diesem Fall findet sich der N. ilioinguinalis direkt auf dem Bruchsack
  • Er wird daher mit Lokalanästhetikum infiltriert und durchtrennt
  • In diesem Fall ist diese Neurektomie indiziert, weil ansonsten chronische Leistenschmerzen drohen

3 Präparation des Bruchsackes

  • Der Bruchsack wird vom Leistenkanal albpräpariert
  • Der äußere Leistenring wird durchtrennt
  • Die Strukturen des Leistenkanals werden mit einem Zügel angeschlungnen
  • In diesem Fall handelt es sich um einen indirekten Leistenbruch
  • Der Bruchinhalt besteht aus präperitonealem Fett
  • Der Bruchinhalt wird reponiert, die Bruchpforte verschlossen

4 Darstellung der Strukturen im Leistenkanal

Beim Mann verlaufen im Leistenkanal folgende Strukturen:

  • Ductus deferens (im Video als weißlicher Strang zu erkennen
  • Musculus cremaster
  • A. testicularis
  • Plexus pampiniformis

5 Platzierung des Netzes

  • Zur Abdeckung der Bruchpforten wird ein teilresorbierbares Netz verwendet
  • Dieses wird beginnend ab der Symphyse mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial am Leistenband befestigt
  • Für den Durchtritt der Strukturen des Leistenkanals wird das Netz schwalbenschwanzartig eingeschnitten
  • Es folgt die Fixierung des Netzes auf der Fascia transversalis

6 Verschluss

  • Die Externusaponeurose wird verschlossen
  • Somit wird der Leistenkanal rekonstruiert
  • Es folgt die epifasziale Einlage einer Drainage
  • Der Hautverschluss erfolgt intrakutan
  • Abschließend werden Klammernahtpflaster aufgebracht

OP-Video: TAPP, endoskopische Leistenhernienoperation

1 Zugang & Trokarplatzierung

  • Die Inzision für den Optiktrokar erfolgt subumbilikal
  • Das vordere Blatt der Rektusscheide wird dargestellt und eröffnet
  • Das Peritoneum wird inzidiert
  • Im Faszienniveau werden Haltenähte vorgelegt, an denen der Torkar befestigt wird. Später wird mit diesen Nähten die Faszie wieder verschlossen
  • Der stumpfe 10 mm Optiktrokar wird einbracht
  • Es erfolgt die Anlage des Kapnoperitoneums
  • Zwei weitere 5 mm Arbeitstrokare werden eingebracht

2 Inzision des Peritoneums

  • Über dem Leistenkanal wird ein peritoneales Fenster durch Inzision mit der elektrischen Schere präpariert
  • Das Peritoneum wird abpräpariert und somit die Strukturen des Leistenkanals freigelegt
  • Gut zu erkennen sind die epigastrischen Gefäße, die die medialen von den lateralen Leistenhernien abtrennen

3 Präparation des Bruchsacks

  • Nun wird der Bruchsack präpariert
  • Die Strukturen des Leistenkanals gilt es hierbei zu schonen
  • In diesem Fall handelt es sich um eine direkte, also mediale Leistenhernie. Der Bruchsack wird mit einer Schlinge ligiert und abgetragen.

4 Platzierung des Netzes

  • Ein teilresorbierbares Netz wird zusammengerollt in den Situs eingebracht
  • Es wird entrollt und vor den Bruchpforten platziert
  • Anschließend wird es mit Fibrinkleber fixiert. Die blaue Farbe dient nur zur Kontrolle, an welchen Stellen bereits Kleber aufgebracht wurde

5 Verschluss des Peritoneums

  • Nachdem das Netz fixiert wurde, wird das Peritoneum wieder verschlossen
  • Hierzu wird ein spezieller mit Widerhaken ausgestattete Faden verwendete. So wird ein Zurückrutschen des Fadens verhindert

Variante- Inkarzierte Hernie

  • Sie sehen hier einen Situs mit einer inkarnierten Leistenhernie
  • Eine Dünndarmschlinge ist in der Bruchpforte gefangen und kann nicht spontan reponiert werden
  • Nach Freipäparation zeigt sich ein livide verfärbtes Segment des Dünndarms
  • Falls es nicht zu einer spontanen Erholung des Intestinums kommt, muss eine Dünndarmsegmentresektion durchgeführt werden, da ansonsten eine Dünndarmnekrose und -perforation droht

Schenkelhernien

Brüche, die unter dem Leistenband durch die Lacuna vasorum durchtreten, werden als Schenkelhernie bezeichnet. Sie sind häufiger bei Frauen anzutreffen und machen dort den Großteil aller Hernien aus. Die Diagnose ist schwieriger zu stellen als bei Leistenbrüchen, als Differentialdiagnose kommen vergrößerte Lymphknoten in Betracht.

Ileus durch inkarzerierte Schenkelhernie

Ileus durch inkarzerierte Schenkelhernie

Inkarzerierte Schenkelhernie
Inkarzerierte Schenkelhernie

Nach Eröffnung des Bruchsacks fand sich eine Dünndarmnekrose, so dass die Patientin zusätzlich im Unterbauch laparotomiert wurde. Es fand sich eine kurzstreckige Nekrose, als Folge der Inkarzeration war es zu einem Ileus gekommen. Es wurde eine Dünndarmteilresektion durchgeführt.

OP-Video: Schenkelhernitomie nach Rives

1 Zugang

  • Der Zugang erfolg analog zur Leistenherniotomie
  • Auf der Haut eingezeichnet sehen sie gestrichelt die Projektion des Leistenbandes, unterhalbe des Leistenbandes die Schenkelhernie und als weitere anatomische Landmarken die Symphyse und die Spina iliaca anterior superior
  • Subkutan verlaufende Venen werden ligiert
  • Mit der monopolaren Diathermie wird bis auf die Externusapneurose präpariert

2 Eröffnung der Fascia transversalis

  • Die Externusaponeurose wird durch Inzision der fibrae intercrurales eröffnet und der Inhalt des Leistenkanals dargestellt
  • In diesem Fall handelt es sich um eine Patientin, daher findet sich im Leistenkanal das Lig. teres uteri
  • Nachdem dieses freipräpariert wurde, wird die Hinterwand des Leistenkanals eröffnet
  • Der Schenkelbruch findet sich unter fascia transversalis, als Bruchpforte dient die Lacuna vasorum

3 Darstellung des Bruchinhaltes & Reposition

  • Der Bruchinhalt wird aus der Lacuna vasorum herausgezogen, in diesem Fall handelt es sich um Omentum majus
  • Anschließend wird der Bruchinhalt nach intraperitoneal reponiert
  • Der Bruchsack wird anschließend verschlossen

4 Vorbereiten des Netzes

  • Ein teilresorbierbares Netz wird umgeschlagen und an der Umschlagsfalte mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial am Lig. cooperi befestigt

OP-Schemazeichnung

Das umgeschlagene Netz wird mit Prolene-Fäden am Lig. Cooperi befestigt.

5 Fixierung des Netzes

  • Durch Fixieren des Netzes mit den vorgelegten Fäden entsteht ein kaudaler Anteil des Netzes, der retropubisch umgeschlagen wird
  • der kraniale Anteil wird unterhalb der Fascia transversalis platziert
  • So wird die Bruchpforte und der Bruchsack vom Netz umschlossen
  • Für den Durchtritt der Strukturen des Leistenkanals muss das Netz schwalbenschwanzartig eingeschnitten und in diesem Falle um das Lig. teres uteri herumgelegt werden
  • Anschließend wird es durch die Fascia transversalis mit PDS-Nähten fixiert

OP-Schemazeichnung

Darstellung der Netzplatzierung mit den vorgelegten Fäden

OP-Schemazeichnung

Das Netz wird zusätzlich mit nicht resorbierbaren Fäden fixiert, die durch die Fascia transversalis gestochen werden

6 Verschluss der Fascia transversalis

  • Nachdem das Netz platziert und fixiert wurde, wird im nächsten Schritt die Leiste rekonstruiert
  • Hierzu wird die Faszia transversalis mit mehreren nicht resorbierbaren Fäden verschlossen
  • Dabei ist auf eine ausreichend große Durchtrittspforte für die Strukturen des Leistenkanals zu achten

7 Verschluss der Externusaponeurose

  • In Analogie zur Liechtensteinoperation wird nun der Leistenkanal rekonstruiert
  • Hierzu wir die Externusaponeurose mit Einzelknöpfen unter Verwendung von nicht-resorbierbarem Nahtmaterial verschlossen
  • Der Anulus inguinalis externus wird dabei rekonstruiert
  • Auch hier ist auf eine ausreichend große Durchtrittspforte für die Strukturen des Leistenkanals zu achten

8 Drainge und Hautverschluss

  • Epifaszial wird eine Redondrainage eingelegt
  • Es folgt die Subcutannaht mit resorbierbarem Nahtmaterial
  • Den Abschluss bildet eine resorbierbare Intracutannaht und ein steriler Pflasterverband

Narbenhernien

Jede Inzision der Bauchwand, jede abdominelle Operation hinterlässt eine Schwachstelle in der Integrität der Bauchdecke, die im weiteren Verlauf zur Ausbildung eines Narbenbruchs führen kann. Insbesondere bei den kleineren Brüchen besteht wiederum eine Einklemmungs- oder Inkarzerationsgefahr. Durch große Bruchlücken können ganze Organpakete und der gesamte Dünndarm hernieren. Diese Brüche sind mit unter sehr schwer zu versorgen. Hatte man früher vor allem bei kleineren Brüchen die Direktnaht der Bruchlücke favorisiert, ist es heute Standard, Narbenbrüche durch eine Netzeinlage zu versorgen.

Die Position des Netzes kann dabei variieren, neben dem offenen Zugang steht in manchen Fällen die minimal invasive Herniotomie und Reparation mit Netzeinlage zur Verfügung.

Wird das Netz von ventral auf die Rektusmuskulatur aufgebracht, spricht man vom Onlay-Verfahren.

Zwischen den Rektusbäuchen platziert, vom Inlay-Verfahren.

Hinter der Rektusmuskulatur aber vor dem hinteren Blatt der Rektusscheide liegt das Netz in Sublay-Position.

Dieses Verfahren bietet die beste Stabilität und das geringste Rezidiv-Risiko. Dorsal der hinteren Rektusscheide aber vor dem Peritoneum ist die Underlay-Position.

Netze schließlich, die intraabdominell, also hinter das Peritoneum gelegt werden, liegen in IPOM-Position. Diese können sowohl offen als auch laparoskopisch platziert werden.

Platzierungsmöglichkeiten eines Netzes Platzierungsmöglichkeiten eines Netzes