Polytrauma

Defintion

Die klassische Definition des Polytraumas nach Tscherne beinhaltet Verletzungen an verschiedenen Körperregionen, die eine lebensbedrohliche Verletzung beinhaltet oder deren Kombination lebensbedrohlich ist. Aktuell wird eine Kombination aus Verletzungen die einen Injury Severity Score (ISS) von mindestens 16 Punkten hervorrufen als Polytrauma definiert. Der ISS berechnet sich aus der Summe der drei am schwersten verletzten Körperregionen. Jeder Verletzung kann ein Schweregrad nach vereinfachten Verletzungsskala (Abbreviated Injury Scale=AIS) zugeordnet werden.

Die 10 ISS-Körperregionen

  • Kopf
  • Gesicht
  • Hals
  • Wirbelsäule
  • Thorax
  • Abdomen
  • Becken
  • Obere Extremitäten
  • Untere Extremitäten
  • Haut und Weichteile

Die schwere der Verletzung wird in 5 Grade unterteilt. Der AIS der am 3 schwersten verletzten Regionen wird quadriert und addiert.

Daraus ergibt sich der ISS (ISS=(AIS1)2+(AIS1)2+(AIS3)2). Die exakte Liste der Verletzungschwere der jeweiligen Region finden Sie hier: Link AIS

Beispiel:

Ein Motoradfahrer erleidet eine Rippenserienfraktur (AIS=3) eine partiell-instabile Bekcnringfraktur Typ B (AIS=3) und eine geschlossene Femurfraktur (AIS=3).

Daraus ergibt sich ein ISS von 27 (32+32+32=27)

Ätiologie und Pathophysiologie des Polytraumas

In Deutschland werden pro Jahr ca. 40.000 polytraumatisierte Patienten behandelt. Die Altersverteilung ist zweigipfelig und zeigt, dass vor allem junge Menschen zwischen 20-29 Jahren und Menschen zwischen 50-59 Jahren betroffen sind. Männer verunfallen doppelt so häufig wie Frauen. Die meisten Polytraumata (2/3) werden durch Verkehrsunfälle hervorgerufen, gefolgt von Arbeits- und Hausunfällen.

Behandlungsstrategien

Polytraumatisierte Patienten werden in Deutschland innerhalb eine Traumanetzwerks behandelt. Patienten mit einem ISS über 16 sollten dabei möglichst in einem überregionalen Traumazentrum behandelt werden, da hier alle Fachdisziplinen zur Behandlung schwerverletzter Patienten 24 Stunden zur Verfügung stehen.

Die Erstversorgung eines Polytraumas in der Schockraumphase folgt standardisierten Richtlinien. Eine weitverbreitete Handlungsanweisung zum Management der Akutphase geben die sog. ATLS (advanced trauma life support) Richtlinien. Diese ermöglichen eine rasche Einschätzung der Vitalfunktionen und Behandlung von akut lebensbedrohlichen Verletzungen.

Im sog. primary survey also der Erstuntersuchung werden die Vitalfunktionen anhand eines Schemas (ABCDE) eingeschätzt und akute lebensbedrohliche Störungen behoben. Diese Untersuchungen und Behandlungen laufen im eingespielten Schockraumteam mitunter zeitgleich ab und sind je nach Absprache einzelnen Disziplinen zugeordnet.

Glasgow Coma Scale

Max. 15 Punkte; Min. 3 Punkte
Punkte Augen öffnen Verbale Kommunikation Motorische Reaktion
6 Punkte Befolgt Aufforderungen
5 Punkte Konversationsfähig, orientiert Gezielte Schmerzabwehr
4 Punkte Spontan Konversationsfähig, desorientiert Ungezielte Schmerzabwehr
3 Punkte Auf Aufforderung Unzusammenhängende Worte Auf Schmerzreiz Beugesynergismen (abnormale Beugung)
2 Punkte Auf Schmerzreiz Unverständliche Laute Auf Schmerzreiz Strecksynergismen
1 Punkt Keine Reaktion Keine verbale Reaktion Keine Reaktion auf Schmerzreiz

A Airway

B Breathing

C Circulation

Nach ausreichender Stabilisierung des Patienten erfolgt in der Regel eine Ganzkörper-Computertomographie (Schockraumspirale) um alle Verletzungen zu erfassen.


D Disability

E Enivorment

Damage control

Während das „Damage Control Surgery“-Prinzip zunächst stark auf das primäre Überleben des Unfallverletzten fokussiert, beschäftigt sich das „Damage Control Orthopedics“-Prinzip auch mit der Reduktion der Spätletalität durch die Wahl geeigneter chirurgischer Maßnahmen und deren Timing in der Frühphase nach Trauma. Das Prinzip soll bei ausgewählten Polytraumapatienten, die sich in einem instabilen bzw. physiologisch stark beeinträchtigten Zustand befinden, angewandt werden. Zielsetzung sind die Blutungskontrolle, die Stabilisation von Frakturen und das Weichteilmanagement.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass u. A. Art und Umfang des Traumas sowie die durchgeführten chirurgischen Interventionen die Entzündungsreaktion nach Trauma bestimmen und somit aufeinander abgestimmt werden müssen. In der klinischen Umsetzung bedeutet dies, dass es nach einer initialen chirurgischen Stabilisierung gilt, zwischen Tag 1 und Tag 5 im Rahmen der posttraumatischen Hyperinflammationsreaktion die chirurgischen Eingriffe zu minimieren.

CT-Bilder eines polytraumatisierten Patienten

CT-Rekonstruktion untere Extremität

CT-Rekonstruktion Becken

Schock

Beim Traumapatienten kann ein Schockzustand durch verschiedene Verletzungen hervorgerufen werden. Eine Blutung ist die häufigste Schockursache (hämorrhagischer Schock). Eine weitere wichtige Ursache für ein Schockzustand kann ein Spannungspneumothorax sein, der den venösen Rückstrom zum Herzen behindert und somit einen obstruktiven Schock bedingen kann. Auch Blut im Herzbeutel (Perikardtamponade) kann Ursache für einen Schockzustand und somit für eine inadäquate Gewebsoxygenierung sein. Es ist daher von enormer Bedeutung, bei einem Trauma Patienten einen Schockzustand zu erkennen. Frühe Anzeichen eines Schocks sind Tachykardie und kutane Vasokonstriktion. Der systolische Blutdruck ist kein guter Indikator in der Frühphase eines Schockes daher erst ab einem Blutverlust von ca. 30% des Gesamtblutvolumen signifikant sinkt. Daher muss auf die klinischen Zeichen Pulsfrequenz, Atemfrequenz, Hautdurchblutung und Pulsdruck besonders geachtet werden, um einen Schockzustand zu erkennen. Das Erkennen und früh behandeln eines Rockes muss bereits am Unfallort geschehen.

Hämorrhagischer Schock

Der hämorrhagische Schock entsteht durch einen akuten Verlust des zirkulierenden Blutes.

Beim hämorrhagischen Schock werden vier Klassen unterschieden. Klasse 1 bis zu 750 ml Blutverlust, Klasse 2 750 bis 1500 ml Blutverlust, Klasse 3 1500 bis 2000 ml Blutverlust und Klasse 4 über 2000 ml Blutverlust.

Für die Akutbehandlung eines Schockzustandes muss unbedingt die Blutungsquelle identifiziert werden, daher sind die vier Körperregionen Thorax, Becken mit Retroperitoneum, Abdomen und Oberschenkel zu untersuchen, da sie die häufigsten Blutungsquellen beim Traumapatienten darstellen. Des Weiteren muss eine rasche Volumentherapie erfolgen und es sollten mehrere großvolumige peripher-venöse Zugänge gelegt werden. Die Volumensubstitution ersetzt nicht die definitive Kontrolle der Blutung. Insbesondere bei Patienten mit Schock Klasse 3 oder 4 muss eine frühzeitige Gabe von Erythrozytenkonzentraten erwogen werden.

Spannungspneumothorax

Kommt es im Rahmen einer Thoraxverletzung zu einer Durchspießung der Thoraxwand, die den Luftstrom in nur eine Richtung erlaubt, dringt Luft in den Pleuraraum ein, ohne diesen zu verlassen (“Ventilmechanismus”).  Durch die intrathorakale Druckerhöhung kommt es zu einer Verlagerung des Mediastinums und einer Abnahme des venösen Rückstroms zum Herzen. Der Spannungspneumothorax muss bereits in der Frühphase des Traumas erkannt werden und behandelt werden. Er bedarf einer sofortigen Entlastung, entweder durch Nadeldekompression im zweiten ICR in der Medioklavikularlinie der betroffenen Seite oder durch die sofortige Anlage einer Bülau-Drainage im 5. ICR in Höhe der vorderen Axillarlinie. Typische Symptome eines Spannungspneumothorax:

  • Thoraxschmerzen
  • Atemnot
  • Tachykardie
  • Hypotonie
  • Fehlendes Atemgeräusch
  • Fehlende Atemexkursion

Perikardtamponade

Durch eine penetrierende Verletzung oder ein stumpfes Trauma kann es zu Blutungen in den unelastischen Herzbeutel kommen, der Herzaktivität und Herzfüllung einschränkt. Charakteristisch für eine Herzbeuteltamponade ist die sogenannte Beck-Trias:

  • obere Einflussstauung
  • Hypotension
  • abgeschwächte Herztöne.

Eine Herzbeuteltamponade sollte bereits im Rahmen der Akutsonographie festgestellt und dann behandelt werden. Zur akuten Entlastung einer Perikardtamponade kann eine Perikardpunktion mit Einlage eines flexiblen Katheters durchgeführt werden, sie ersetzt allerdings nicht die definitive Therapie der Blutungsursache.