Einleitung
Die Traumatologie im Kindesalter stellt den behandelnden Arzt vor besondere Herausforderungen. Die operativen Verfahren und die rekonstruktiven Prinzipien unterscheiden sich teilweise deutlich von denen der Erwachsenentraumatologie. Auf Grund der sich noch im Wachstum befindlichen Knochen einerseits und der dadurch unterschiedlichen Biomechanik treten im Kindesalter andere Verletzungsmuster auf, die so beim Erwachsenen nicht zu sehen sind. Exemplarisch sollen hier einige typische kinderchirurgische Frakturen und Verletzungen abgehandelt werden.
Radiusköpfchensubluxation
Die Luxation des Radiusköpfchens oder auch Chaissagnac-Läsion ist eine Verletzung mit typischer Anamnese, die gehäuft um das 2. Lebensjahr auftritt. Meist kommt es hierzu durch einen ruckhaften Zug am Unterarm des Kindes. Typischerweise berichten die Eltern, das Kind an einem oder beiden Armen hochgehoben zu haben oder mit einer ruckartigen Bewegung in eine Richtung gezogen zu haben, beispielsweise, damit das Kind an einer Ampel nicht auf die Fahrbahn rennt o.ä.. Anschließend kommt es zu einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung des betroffenen Arms.
Neben dieser typischen Anamnese ist die Klinik wegweisend. Der betroffene Arm wird in einer spezifischen Fehlstellung ruhig gehalten. Diese Pronationshaltung und Schonung gibt der Läsion auch den Namen „pronatio dolorosa“, wobei nicht die Pronation dem Kind Schmerzen bereitet, sondern die Supination. Die Pronation stellt die Schonhaltung dar. Unter Umständen ist das Kind ansonsten relativ beschwerdearm und spielt normal, allerdings unter auffallender Schonhaltung und Nicht-Einbeziehung des betroffenen Arms. In der Untersuchungssituation besonders bei kleineren Kinder kann es hilfreich sein, die Aufmerksamkeit des Kindes auf ein bestimmtes Spielzeug zu richten und es dies zunächst mit der gesunden Hand greifen zu lassen. Wird es anschließend aufgefordert, mit der betroffenen Hand zu greifen, in dem ein Elternteil die nicht-betroffene Hand fixiert, wird das Kind dies verweigern oder durch eine Ausgleichsbewegung in der Schulter versuchen, das Spielzeug mit proniertem Unterarm zu greifen.
Der Anamneneseerhebung und der körperlichen Untersuchung kommt bei diesem Krankheitsbild deswegen eine so entscheidende Bedeutung zu, weil bei typischem Bild einer Chaissagnac-Läsion auf ein Röntgenbild verzichtet werden kann und direkt ein Repositionsversuch unternommen sollte.
Therapie
Die Therapie der Radiusköpfchensubluxation besteht in einem speziellen Repositionsmanöver. Unter Zug am Handgelenk wird der Unterarm supiniert und dann ggf. im Ellenbogen gebeugt. Die nicht-dominante Hand des Untersuchers fixiert dabei den Ellenbogen und tastet mit dem Daumen nach dem subluxierten Radiusköpfchen. Die erfolgreiche Reposition zeichnet sich durch ein spürbares Schnappen aus. Der Schmerzreiz für das Kind ist unmittelbar nach der Reposition vorbei, so dass es wenige Minuten nach erfolgreicher Reposition den Arm normal benutzen sollte.
Gelingt eine Reposition trotz richtiger Technik mehrmals nicht, ist eine Röntgenaufnahme angezeigt, um eine Radiushalsfraktur auszuschließen. Die Therapie der Wahl bei initial nicht erfolgreicher Reponierung besteht in einer Ruhigstellung in Supinationsstellung. Sobald die ligamentäre Schwellung zurückgeht, kommt es meistens zu einer spontanen Reponierung des in Subluxation stehenden Radiusköpfchens.
Suprakondyläre Humerusfraktur
Die Fraktur des Humerus oberhalb des Ellenbogens und der Humeruskondylen ist eine typische Fraktur des Kindesalters. Bei Erwachsenen kommt es auf Grund der unterschiedlichen Biomechanik eher zu einer subkapitalen Humerusfraktur.
Durch den Zug der kräftigen Oberarmmuskulatur kommt es nach einer Fraktur des suprakondylären Humerus häufig zu einer Dislokation der Fragmente. Meistens handelt es sich dabei um eine Extensionsfraktur, bei der das distale Fragment von einer gedachten Mittellinie durch den Humerus nach dorsal abkippt. Das Ausmaß der Dislokation ist entscheidend für die Therapie und die Frage, ob eine operative Versorgung notwendig bzw. eine rein konservative Therapie aussichtsreich ist. Nach der Klassifikation nach Laer werden vier Typen unterschieden:
Klassifikation nach Lars von Laer
Typ | Röntgenbefund |
---|---|
Typ I | Unterschoben |
Typ II | in 1 Ebene verschoben |
Typ III | in 2 Ebene verschoben |
Typ IV | in 3 Ebene verschoben |
Ätiologie
Der typische Unfallmechanismus ist der Sturz auf den ausgetreckten Arm. Meistens spielt eine gewissen Sturzhöhe eine Rolle, z.B. ein Sturz vom Klettergerüst oder vom Fahrrad. Die Aufprallenergie wird durch den Unterarm und das Ellenbogengelenk fortgeleitet und führt zu einer Fraktur des suprakondylären Humerus, in diesem Fall zu einer Extensionsfraktur.
Der Sturz auf den gebeugten Oberarm ist seltener die Ursache einer suprakonylären Humerusfraktur und führt dann meistens zu einer Flexionsfraktur. Passt das auslösende Trauma nicht zur entstandenen Fraktur, muss generell an eine Veränderung der Knochensubstanz aus anderen Ursachen gedacht werden. Im Kindesalter können dies Zysten oder auch Knochentumoren sein.
Diagnostik
Neben der typischen Anamnese lassen sich auch die indirekten Frakturzeichen wie Schwellung, Fehlstellung und Schmerz bei Berührung erheben. Auf das Auslösen eines Krepitationsphänomens sollte jedoch verzichtet werden.
Eine geeignete Röntgenuntersuchung sollte die Fraktur zusammen mit dem Ellenbogen in 2 Ebenen darstellen, um die Einstufung der Dislokation sowie die daraus resultierenden Konsequenzen für die Therapie bestimmen zu können. Eine Schnittbildgebung ist in der Regel nicht erforderlich.
Therapie
Nicht dislozierte suprakondyläre Humerusfrakturen des Typ I nach Laer können konservativ mit Oberarmgipsschiene und später geschlossenem Cast behandelt werden wobei die Gefahr der sekundären Dislokation durch den starken Muskeltonus beachtet und dies durch eine Röntgenkontrolle ausgeschlossen werden sollte. Das gleiche gilt für Frakturen des Typ II, jedoch sollten hier nur jene Frakturen konservativ behandelt werden, die sich leicht reponieren lassen. Je älter das Kind ist, desto größer ist der Muskelzug und damit die Gefahr einer sekundären Dislokation der Fraktur.
Operation
Komplizierte Formen der Typ II-Frakturen sowie alle Typ III-IV-Frakturen sollten operativ versorgt werden. Dies gilt auch für alle offenen Frakturen oder Frakturen mit Begleitverletzungen der Nerven und/oder der Gefäße.
Die operative Therapie der Wahl besteht in der geschlossenen Reposition unter Bildwandlerkontrolle sowie Sicherung des Repositionsergebnisses mittels gekreuzter Bohrdraht-Osteosynthese. Hierbei ist vor allem beim lateralen Zugang auf den Verlauf des N. ulnaris im sulcus ulnaris zu achten, um eine Nervenverletzung in diesem Bereich zu vermeiden. Die Metallentfernung kann einige Woche nach dem Trauma erfolgen, sobald die Fraktur knöchern ausreichend konsolidiert ist.
Mögliche Komplikationen
Neben Akutkomplikationen wie der oben erwähnten Nervenverletzung des N. ulnaris sowie Infektionen oder Einblutungen kann durch sekundäres Abkippen oder initial unzureichendes Repositionsergebnis eine Fehlstellung und Bewegungseinschränkung verbleiben. Auch nach optimalem Verlauf haben die Kinder nach Metallentfernung oft vorübergehend eine Bewegungseinschränkung, die zumeist jedoch gut kompensiert wird und im weiteren Verlauf komplett verschwindet. Die Ausbildung einer Pseudoarthrose droht bei unzureichender Ruhigstellung der Fraktur.
Unterarmschaftfrakturen
Frakturen sowohl des Radius als auch der Ulna werden als Unterarmschaftfratkuren bezeichnet. Diese werden im Kindesalter mit intramedullären Prevotnägeln operativ versorgt, da bei rein konservativer Behandlung ein hohe Wahrscheinlichkeit der Dislokation besteht, was ein Ausheilung in Fehlstellung oder Ausbildung einer Pseudoarthrose bedingen könnte.
Beim Einbringen der Prevotnägel ist insbesondere auf den Verlauf des N. ulnaris und des N. radialis zu achten um Nervenschäden zu vermeiden. Nach abgeschlossener Frakturheilung werden die Marknägel operativ entfernt.
Monteggia-Fraktur
Die Kombination aus proximaler Fraktur der Ulna sowie Luxation des Radiusköpfchens wird als Monteggia-Fraktur bezeichnet. Auch diese Fraktur stellt eine OP-Indikation dar.